Learning Stories - Lerngeschichten

Lerngeschichten haben sehr viel mit Gefühlen, mit Begeisterung und mit Leidenschaft zu tun sowie mit Beziehungen, mit Kontakt und mit Interaktionsqualität. Und somit mit einer Haltung, die eine beachtende und stärkenorientierte Sicht auf jedes Kind voraussetzt.


"Wenn es dir keine Freude macht oder wenn es dich gar langweilt, eine Lerngeschichte zu schreiben, dann lass es bleiben und geh lieber einen Kaffee trinken!" (Wendy Lee) 


Lerngeschichten basieren auf Alltagshandlungen, auf Situationen und Abläufen die tagtäglich in jeder Kita stattfinden. Lerngeschichten unterscheiden nicht zwischen Mahlzeiten, selbst gewähltem Spiel, pädagogischen Angeboten oder Ausflügen. Im Sinne des neuseeländischen Curriculums findet Lernen in allen Situationen statt. Jede Situation eignet sich, um sie zu be(ob)achten.

Es gibt viele Möglichkeiten eine Lerngeschichte zu schreiben: als Brief, als kurze Geschichte oder als lange, als Gedicht ... Es gibt kein richtigen oder falschen Weg. Lerngeschichten sollten auf keinen Fall alle gleich aussehen. In jedem Fall gilt: eine Lerngeschichte ist ein Geschenk für jedes Kind - und für jeden, der eine Lerngeschichte schreiben darf. 

Theorie der Lerngeschichten: 

Neuseeland hat zum Ende der 90iger Jahre begonnen, das Curriculum für Kindertagesstätten (https://www.education.govt.nz/assets/Documents/Early-Childhood/Te-Whariki-Early-Childhood-Curriculum-ENG-Web.pdf ) von Grund auf zu verändern.                                 

Wesentliche Erneuerung war die Annahme, dass nicht mehr die Entwicklung eines Kindes sein Lernen bestimmt, sondern – umgekehrt - das vielmehr die Art, wie das Kind lernt maßgeblich seine Entwicklung und Entfaltung beeinflusst und sichert. 

Um diesen wesentlichen Veränderungen auch mit einem adäquaten Beobachtungsverfahren nachzukommen, entwickelte Margaret Carr (Bildungswissenschaftlerin an der ‚University of Waikato‘ in Hamilton, Neuseeland) die Methode der ‚learning stories‘. Sie sind in allen neuseeländischen Einrichtungen zur Betreuung von Kindern verpflichtendes Instrument. 

Lerngeschichten bestehen im Wesentlichen aus drei Abschnitten, die miteinander verbunden sind und sich gegenseitig bedingen: 


Wahrnehmen

Erkennen

Antworten

(noticing)

(recognising)

(responding)


1. Wahrnehmen 

Zu Beginn nimmt die/der Pädagog*in eine bedeutsame Situation wahr.  Wichtig ist es, die Augen, Ohren und das Herz zu öffnen, um aussagefähige Situationen, wie sie vielfach im Alltag zu beobachten sind, wahrzunehmen. In Neuseeland spricht man von ‚magic moments‘ – magischen Momenten. In diesen Momenten beobachtet der Erwachsene eine Handlung, die ihn/sie besonders anspricht. Carr nutzt den Begriff des ‚progressiven Filters‘ um diese magic moments von den alltäglichen Beobachtungen herauszuheben und als Lernprozess zu erkennen. 

Vertrauen Sie sich! Jede*r kann die magic moments erkennen - 

es gilt einzig und allein seinen Blick darauf zu lenken. 


2.     Erkennen (Analyse)

In der zweiten Phase analysiert man, alleine oder mit den Kolleg*innen, die beobachtete Situation. In Neuseeland analysieren die Fachkräfte ihre Beobachtungen auf der Grundlage der fünf Lerndispositionen:  Interessiert sein, Engagiert sein, Standhalten bei Herausforderung und Schwierigkeiten, Sich ausdrücken und mitteilen, An der Lerngemeinschaft mitwirken und Verantwortung übernehmen). 

Der Begriff der Lerndispositionen ist von Magaret Carr begründet und könnte auch als ‚Motivation zum Lernen‘ beschrieben werden. 

Die wahrgenommene und analysierte Situation schreibt die/der Pädagog*in als Geschichte für das Kind nieder - als eine Lerngeschichte. Zur Erinnerbarkeit, bzw. zur kindgerechten Visualisierung sind Fotos (bzw. Fotostrecken) und Werke der Kinder hilfreich. 

3.     Antworten 

Der letzte Abschnitt dient dazu zu überlegen, wie individuelle Lernprozesse dem Kind ermöglicht und das Kind in seinem Lernen unterstützt werden kann (‚Berücksichtigung der individuellen Motivation‘) sowie der konkreten Planung der nächsten Schritte. Es ist wichtig die individuellen Fähig- und Fertigkeiten des einzelnen Kindes zu erkennen und besondere Stärken und Entwicklungsschritte herauszuarbeiten. (‚Berücksichtigung von Wissen und Können‘). Mit dieser 'Antworten' haben Sie gleichzeitig einen Handlungsplan zur Gestaltung des Kitaalltags. 

Neben der Wahrnehmung, der Analyse und der Ableitung nächster Schritte ist elementares Ziel der Lerngeschichten, Kindern ihre eigenen Lernprozesse aufzuzeigen. Dazu liest die/der Erzieher*in dem Kind die Geschichte vor.  Diese Begegnung und der Dialog mit dem Kind sind (fast) der schönste Teil des Prozesses. 

 


* aus :

Learning Stories – Construction Learner Identities in Early Education, Margaret Carr und Wendy Lee, Sage Publications Ltd, 2012

Begeisterung teilen – Lerngeschichten in die Praxis tragen, Sybille Haas (Hrsg,), verlag das netz, 2016

Das Lernen feiern – Lerngeschichten aus Neuseeland, verlag das netz, 2016

 Bildungs- und Lerngeschichten – Bildungsprozesse in früher Kindheit beobachten, dokumentieren und unterstützen, Leu/Fläming/Frankenstein/Koch/Pack/Schneider/Schweiger, verlag das netz, 2010 

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